Ich war im Frauenhaus

Das ist meine Welt

Ich war jahrzehntelang im sozial-medizinischen Bereich tätig und hatte Kontakt mit häuslicher Gewalt in meinem beruflichen Umfeld. Was niemand wusste: ich war selbst von Schlägen, Drohungen und Erniedrigungen, selbst sogar von Freiheitsberaubung betroffen. Das Schlimmste für mich war, er demütigte auch meine Kinder, um mich damit tief zu verletzen. Meine Selbstsicherheit im Beruf verlor sich Zuhause völlig. Selbst als ich schwer an Krebs erkrankte, zeigte mein Mann kein Mitgefühl und ließ von seinem Kontrollzwang nicht ab. Durch die permanente Anspannung geriet ich in eine tiefe Depression, die stationär behandelt werden musste. Dort entwickelte ich einen Freiheitsdrang, der mich rettete und ins Frauenhaus führte. Die Unterstützung einer nahestehenden Freundin und die Einschätzung der Polizei ließen den Schritt einfacher werden. Im Frauenhaus erfuhr ich kompetente Unterstützung; ich wusste, wie ich meine Zukunft konkret planen kann. Mich verblüffte meine neue Selbstentschlossenheit, einfach mal bummeln zu gehen und eine Tasse Kaffee in der Sonne zu trinken. Ich genoss die Anerkennung der Frauen, ihrer Kinder und der Mitarbeiterinnen; ich fand wieder zu mir selbst.

Während der Zeit im Frauenhaus war ich mit den Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen zweimal im Friedrichstadtpalast. Beim ersten Mal war mein Empfinden, was hast du alles versäumt. Beim zweiten Mal dachte ich, das ist meine Welt: ohne Druck, selbstentscheidend und gelöst mit meinen Mitmenschen zu leben. Dafür ist es nie zu spät.

(65-jährige ehemalige Bewohnerin, die 40 Jahre verheiratet war)